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Hörimplantate

Hirnstamm Implantat (ABI): Kosten, Funktion & Vor- und Nachteile

Simone Blaß
Verfasst von Simone Blaß
Zuletzt aktualisiert: 23. Mai 2022
Lesedauer: 6 Minuten
© fizkes / istockphoto.com

Menschen, die extrem schwer hören oder gar taub sind, können von einem Hirnstammimplantat profitieren. Dieses kann das Hörvermögen zumindest teilweise wiederherstellen. Worum es sich bei einem Hirnstammimplantat, auch Auditory Brainstem Implant (ABI) genannt, handelt, welche Funktion es erfüllt und worin die Vor- und Nachteile liegen, das erfahren Sie nachfolgend.

Alles auf einen Blick:

  • Implantate eignen sich für taube oder extrem schwerhörige Menschen. Das Auditory Brainstem Implant ist vor allem für Menschen mit Neurofibromatose Typ2 geeignet.
  • Ein Teil des Gerätes wird beim Patienten implantiert, was einen medizinischen Eingriff erfordert.
  • Bei diesem Implantat werden direkt die betroffenen Bereiche des Hirnstammes stimuliert.
  • Das Hirnstammimplantat (ABI) kann sich als gute Alternative zum Cochlea Implantat (CI) erweisen.
  • Bei einem Kind wird es frühestens ab einem Jahr eingesetzt. Einen vollen Spracherwerb dürfen sich Eltern bislang allerdings nicht erhoffen.

Definition

Bei einem ABI handelt es sich um eine Hörprothese, die implantiert werden muss: ein kleines elektronisches Gerät zur direkten Erregung der Hörbahn im Hirnstamm. Man könnte sagen, diese Form des Implantats ist ein modifiziertes Cochlear Implant. Für die Nutzung ist ein medizinischer Eingriff am Gehirn notwendig.

Wie funktioniert das Auditory Brainstem Implant (ABI)?

Damit das Hörsystem funktioniert, müssen drei Komponenten zusammenarbeiten:

  • der Audioprozessor,
  • der Empfänger (das eigentliche Implantat) und
  • die Elektroden.

Der Audioprozessor befindet sich hinter dem Ohr. Über das integrierte Mikrofon fängt er den Schall ein, wandelt ihn in elektrische Impulse um und leitet diese an den Empfänger weiter. Der Empfänger, der als Implantat hinter dem Ohr sitzt, übermittelt die erzeugten Impulse mittels der Elektroden direkt weiter an den Hirnstamm. Die Stimulationselektroden, die direkt im Hirnstamm sitzen, stimulieren jetzt die verschiedenen Regionen im Hirnstamm.

INFO:
Im Gegensatz zum ABI, das am Schneckenkern im Hirnstamm ansetzt, wird das Cochlea Implantat (CI) direkt im Innenohr an der Hörschnecke (Nucleus cochlearis) platziert. Die Cochlea ist nämlich der Teil des Innenohrs, an dem die Schallempfindung sitzt.


Vor- und Nachteile

Einer der größten Vorteile bei der Nutzung derartiger Hörgeräte ist, dass die Patienten wieder Töne wahrnehmen und in einigen Fällen sogar Sätze hören und verstehen können. Damit dies gelingt, ist nach der Operation jedoch ein intensives Training notwendig. Immerhin rund 15 Prozent der Patienten können dann aber einzelne Sätze verstehen. Nur in wenigen Ausnahmefällen ist zwar ein freies Wortverständnis durch die Behandlung möglich, durch die Wahrnehmung einzelner Signale wird aber auf jeden Fall das Lippenlesen vereinfacht.

Durch die neue Möglichkeit, Geräusche und Worte wahrzunehmen, verändert sich das Leben der meisten Betroffenen deutlich. Sie nehmen wieder verstärkt am gesellschaftlichen Leben teil, trauen sich mehr zu und werden hierdurch obendrein selbstbewusster. Durch das Wahrnehmen von Alltagsgeräuschen minimiert sich außerdem das Sicherheitsrisiko, zum Beispiel im Verkehr.

Im Vergleich zu einem Cochlea Implantat ist das auditorische Hirnstamm-Implantat jedoch mit einigen Risiken verbunden. So müssen die Ärzte bei der Operation, die in der Klinik, in der Regel einem Universitätsklinikum, durchgeführt wird, sehr präzise vorgehen. Beim Einsetzen können nämlich Hirnnerven, auch der Gesichtsnerv, beschädigt werden. Schon ein kleiner, falscher Schnitt kann hier also erhebliche Folgen haben.

Zu den bekannten Nebenwirkungen durch die Hirnstamm-Implantation gehören:

  • Kribbeln im Hals,
  • Fehlfunktionen des Augenlides,
  • Schwindel und
  • Muskelzuckungen.

Obendrein sollten auch die üblichen Operationsrisiken bedacht werden. So kann es beispielsweise immer zu einer Infektion kommen. Ebenso ist es in ganz seltenen Fällen möglich, dass der Körper das Implantat abstößt.

INFO:
Wenn die Ursache für die Taubheit eines Kindes eine schwere Schädigung des Hörnervs oder des Innenohrs ist, dann ist das Auditory Brainstem Implant die einzige Möglichkeit, das Gehör zu (re-)aktivieren und zumindest eine Geräuschwahrnehmung möglich zu machen. Im Gegensatz zum Cochlea Implantat wird das ABI aber nicht bei Säuglingen eingesetzt, sondern frühestens mit einem Jahr. Allerdings dürfen Eltern nicht erwarten, dass das Kind später ganz normal hören und sprechen kann.

Tabelle: Vor- und Nachteile in der Übersicht

VorteileNachteile
  • Geräusche und sogar Wörter können wieder wahrgenommen werden
  • deutliche Steigerung der Lebensqualität und des eigenen Selbstbewusstseins
  • Sicherheitsrisiko im Alltag sinkt deutlich
  • schwerwiegende Folgen durch die Operation möglich
  • Nebenwirkungen wie Schwindel oder Muskelzucken möglich
  • für Säuglinge nicht möglich
  • Sprache wird nur teilweise zu verstehen sein


Für wen eignet sich ein Hirnstammimplantat?

ABIs eignen sich für Personen, die aufgrund eines beidseitig defekten Hörnervs nichts mehr hören. Die Taubheit kann entweder von Geburt an bestehen oder im Laufe des Lebens – beispielsweise durch einen Unfall, eine Erkrankung oder durch einen Tumor – entstanden sein. Ein auditorisches Hirnstammimplantat kann es ermöglichen, mithilfe elektrischer Signale Töne wieder wahrzunehmen.

Hirnstamm-Implantate empfehlen sich für:

  • Erwachsene und Kinder, deren Hörnerv funktionsunfähig oder eingeschränkt ist
  • Patienten, bei denen ein Cochlea Implantat nicht funktioniert
  • Erwachsene, die unter der Krankheit Neurofibromatose Typ2 leiden
INFO:
Neurofibromatose Typ 2 ist eine Erbkrankheit, bei der sich Tumore im Gehirn und Rückenmark bilden. Besonders häufig betroffen ist der Hörnerv. Auch junge Menschen können an NF2 erkranken.

Wie hoch sind die Kosten für ein Auditory Brainstem Implant und wer kommt dafür auf?

Die Kosten für das Gerät inklusive der Implantation belaufen sich auf rund 30.000 Euro. Die Versorgung mit Hörimplantaten wird in Deutschland von der Krankenkasse übernommen. Bei Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres allerdings erst seit 2017. Der Grund: Erst seitdem ist das Implantat auch für diese Altersgruppe zugelassen.

Fazit

Durch Hirnstammimplantate können Geräusche, Wörter und sogar ganze Sätze von tauben oder extrem schwerhörigen Patienten wieder wahrgenommen werden. Das erhöht die Lebensqualität, aber auch die Sicherheit enorm. Diese Form der Implantate ist jedoch im Vergleich zu den Cochlea Implantaten deutlich risikoreicher, da bei der Operation am Gehirn höchste Präzision durch die Ärzte gefragt ist.

Über unsere*n Autor*in
Simone Blaß
Simone studierte Germanistik, Psychologie und Soziologie und absolvierte danach ein Volontariat bei einem lokalen Fernsehsender. Nach Zwischenstationen beim Radio und in einer PR-Agentur arbeitete sie viele Jahre als freiberufliche Redakteurin für Online-Portale und Agenturen.