Gab es einen Schlüsselmoment, an dem Sie sich gesagt haben: Jetzt muss ich etwas unternehmen?
Ich habe schon früh Hörgeräte verschrieben bekommen, aber ich war der Meinung, ich brauche sie nicht und habe sie kaum mal getragen. Sie lagen bestimmt zehn, zwölf Jahre im Schrank – bis zur Trennung von meinem Mann. Durch den damit verbundenen Stress kam es vermehrt wieder zu Hörstürzen und irgendwann haben meine Kinder mich darauf aufmerksam gemacht, dass etwas nicht stimmt. Da wurde mir klar, dass ich was ändern muss.
Konnten Sie die alten Hörgeräte dann noch verwenden?
Meine alten Geräte waren damals technisch überholt, also habe ich neue bekommen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in der U-Bahn plötzlich hörte, wie jemand die Seiten eines Buches umblättert. Oder draußen das Rascheln von Laub. Da wurde mir erst richtig bewusst, was ich alles nicht mehr gehört hatte. Von da an habe ich das Hörgerät – witzigerweise trug das Modell denselben Namen wie mein Sohn – wirklich täglich getragen. Das war eine enorme Steigerung der Lebensqualität. Auf Anraten meines Akustikers stelle ich die Geräte heute lieber einmal leiser, als sie ganz herauszunehmen. Aber es gibt durchaus Tage, an denen ich sie trotzdem rausnehme und mich sozusagen von der Welt abschalte.

Sabine Scharrer wurde bereits mit Ende 20 schwerhörig. Auslöser dafür ist ein Morbus Menière, eine Erkrankung, bei der die Durchblutung im Innenohr gestört ist und bei der mit jedem Schub die Hörleistung nachlassen kann. Doch dass sie Hörgeräte braucht, hat sie lange Zeit geleugnet. Bis es im Alltag und im Beruf nicht mehr anders ging. Heute hat sich die 57-Jährige mit ihrer Tieftonschwerhörigkeit arrangiert und erzählt, wie sie gelernt hat, die Hörgeräte nicht als lästig, sondern als hilfreich zu empfinden.
Wie viel hören Sie noch ohne Hörgeräte?
Rechts habe ich etwa 65 Prozent Hörverlust, links 55 Prozent. Mit jedem Hörsturz verliere ich ungefähr zwei weitere Prozent. Bei meiner Schwerhörigkeit müssen die höheren Töne feiner eingestellt und die tiefen etwas reduziert werden. Wenn ich Musik höre, nehme ich zum Beispiel immer den Bass raus. Bands wie AnnenMayKantereit, mit dieser sehr tiefen Stimme, höre ich kaum richtig.
Was zeichnet die Geräte aus, die Sie tragen?
Ich habe aktuell Geräte, die auch meinen Tinnitus übertönen. Man muss wirklich sagen, dass Hörgeräte heute ganz anders eingestellt werden als früher. Ich habe Modelle, die schon einiges können, zu denen ich aber nicht so viel dazu zahlen musste. Natürlich kann man auch teurere Varianten ausprobieren, aber da handelt es sich für mich vor allem um Technik-Extras wie Ladegeräte oder smarte Programme. Das ist für manche bestimmt sinnvoll, mir persönlich bringt es keinen echten Mehrwert.
Ist das ein IdO- oder ein HdO-Modell, das Sie tragen?
Ich habe ein klassisches Hinter-dem-Ohr-Gerät mit einem kleinen Mikrofon im Ohr. Reine Im-Ohr-Geräte haben mich gestört, weil sie den Gehörgang so stark verschließen. Dann höre ich von außen kaum noch etwas, und wenn jemand laut spricht, ist das für mich irritierend. Ich hatte auch RIC-Modelle ausprobiert, aber das fühlte sich für mich an, als wäre das Ohr verstopft. Das jetzige Gerät sieht man kaum, und es ist angenehm zu tragen, selbst mit den Piercings. Mittlerweile habe ich ein etwas größeres Modell, weil mehr Technik drin steckt. Ich kann es per Handy steuern, könnte darüber Musik hören und Anrufe empfangen. Es lässt sich sehr fein regeln: helle und dunkle Töne anpassen, ein Hörtagebuch führen. Mein letztes Gerät hatte noch eine Fernbedienung mit zwei Tasten, und es hat mich einfach gestört, wenn das jeder sehen konnte.

Welche technische Entwicklung der letzten Jahre hat Sie besonders beeindruckt?
Die Klangqualität! Die ist heute unglaublich fein. Selbst in einem vollen Lokal kann ich unterscheiden, woher Stimmen und Geräusche kommen. Früher hatte ich das Gefühl, ich sitze in einer Konservendose. Jetzt stellt sich das Gerät automatisch auf die Umgebung ein. Nur wenn es zu viele Töne gleichzeitig sind wie auf einem Markt, dann wird es anstrengend. Und man muss natürlich sagen: 100 Prozent Hörvermögen sind es auch mit Hörgeräten nicht.
Welche drei Faktoren waren Ihnen bei der Auswahl der Hörgeräte am wichtigsten?
Erstens trage ich gerne viel Schmuck, und das durfte nicht mit den Hörgeräten kollidieren. Zweitens wollte ich, dass sie möglichst unauffällig sind. Und drittens war die Tonqualität entscheidend. Außerdem war mir auch wichtig, dass ich nicht allzu viel dazu zahlen muss.
Wie lange hat es gedauert, sich an die Geräte zu gewöhnen?
Eigentlich gar nicht so lange. Nach ein paar Wochen habe ich sie kaum noch gespürt. Klar, man merkt es, wenn sich das Gerät umstellt oder wenn viele Geräusche gleichzeitig da sind, zum Beispiel beim Autofahren, wenn das Radio läuft und im Auto jemand mit jemand anderem redet. Aber im Alltag nehme ich sie kaum mehr wahr. Es sind ja inzwischen auch schon wieder zehn Jahre, dass ich sie trage.
Wie sahen die anfänglichen Schwierigkeiten aus?
Anfangs hat es im Ohr gekitzelt. Ich hatte zuerst diese kleinen „Fallschirm“-Schirmchen. Aber das war im Sommer bei feuchtwarmer Luft sehr unangenehm für mich.
Wie viel Pflege brauchen Ihre Hörgeräte?
Man muss die Geräte schon gut pflegen und den Cerumenfilter reinigen oder die Batterien prüfen. Das mache ich täglich, das gehört inzwischen zur Routine. Und richtig cool finde ich, dass mein Handy mir anzeigt, wenn etwas nicht stimmt.
Haben Sie Geräte mit Akku oder mit Batterien?
Ich benutze Geräte mit Batterien, weil ich viel unterwegs bin. Mit Akkus wäre ich zu stark gebunden, und auch wenn der Akku aus Umweltgründen punktet, sind für mich Batterien die einfachere Lösung.
Wie finden Sie die Handhabung insgesamt?
Ganz einfach. Man muss nur wissen, wie. Reinigen, Filter wechseln, das geht schnell. Wichtig ist, dass ein guter Akustiker einem alles in Ruhe erklärt. Ich gehe etwa alle drei Monate zur Wartung. Dazu gehören Neujustierung, Pflege, Updates und das dauert kaum zwanzig Minuten.
Wie beeinflusst Ihre Schwerhörigkeit Ihren Berufsalltag, und welche Strategien haben Sie dort für sich gefunden?
Ich arbeite überwiegend im Homeoffice in der Hausverwaltung. Das kommt mir mit der Schwerhörigkeit sehr entgegen, weil der meiste Kontakt über E-Mail und Telefon läuft. Telefonieren funktioniert mit meinen Hörgeräten inzwischen sehr gut und zwar ohne, dass ich das Telefon direkt mit den Geräten koppeln oder ein spezielles Telefonprogramm einstellen muss. Wenn ich direkten Kontakt habe, etwa mit Kollegen oder Bewohnern, dann achte ich darauf, dass wir möglichst in einer ruhigen Umgebung sprechen. Im Zweifel lasse ich mir wichtige Informationen lieber noch einmal per E-Mail bestätigen. Insgesamt habe ich für mich einen Arbeitsalltag gefunden, in dem ich gut kommunizieren kann, ohne ständig an meine Hörminderung erinnert zu werden.
Welche Tipps würden Sie jemandem geben, der sich gerade in der Eingewöhnungsphase befindet?
Suchen Sie sich unbedingt einen guten Arzt und ein gutes Hörgeräte-Studio. Der Service macht einen Riesenunterschied. Ich denke, hätte ich früher gewusst, was das ausmacht, hätte ich meine Geräte auch früher getragen.
Nutzen Sie Zusatzfunktionen wie Bluetooth, App-Steuerung oder spezielle Hörprogramme?
Ja, Bluetooth brauche ich, um die Geräte über das Handy einzustellen. Telefonieren über die Hörgeräte mag ich aber nicht, das finde ich unangenehm. Auch Hörbücher höre ich zu Hause lieber über Lautsprecher. Wenn man Hörbücher oder Musik über die Hörgeräte hört, bekommt man nichts mehr von der Umgebung mit, das möchte ich meistens vermeiden. Ich nutze die Technik eher sparsam, denn für mich sind Hörgeräte zum Hören da, nicht zum Streamen.
In welchen Situationen merken Sie die Vorteile besonders?
Wenn viele Leute gleichzeitig sprechen, ist es zwar anstrengender, aber grundsätzlich helfen mir die Geräte ungemein, Gespräche überhaupt zu verstehen. Und nachts, wenn mein Freund schnarcht, kann ich sie einfach ausschalten. Das ist auch ein ziemlicher Vorteil.
Gibt es Situationen, in denen das Hörgerät an Grenzen stößt?
Ja, zum Beispiel im Kino mit raschelndem Popcorn oder in sehr lauten Restaurants. Auch bei Musik und Gesprächen gleichzeitig wird es manchmal schwierig. Früher, bei den älteren Geräten, hat man den Wind sehr stark rauschen gehört, das ist heute ebenfalls viel besser. Auch Musik klingt inzwischen deutlich natürlicher und nicht mehr so blechern.
Was aber unangenehm ist, ist, wenn die Batterien zur Neige gehen und ich dadurch dann wieder, ohne es zu merken, schlechter höre. Dann rede ich automatisch lauter.
Haben Sie das Gefühl, offen über Ihren Hörverlust sprechen zu können?
Ja, meistens schon. Dass es in meinem Alter mit Mitte 50 aber noch nicht „normal“ ist, Hörgeräte zu tragen, habe ich beim Daten gemerkt. Da war manch einer ziemlich überrascht. Aber letztendlich habe ich fast nur positive Erfahrungen gemacht.
Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der zum ersten Mal vor der Entscheidung steht, sich ein Hörgerät anzuschaffen?
Nicht lange nachdenken, einfach machen. Man unterschätzt, wie viel man über die Jahre nicht mehr hört. Dieser schleichende Verlust bedeutet ein Stück verlorene Lebensqualität. Und er erhöht Risiken, beispielsweise für Demenz oder für Unfälle, etwa wenn man ein Auto oder ein schreiendes Kind nicht hört.
Die Geräte, die von der Krankenkasse bezahlt werden, sind heute schon ziemlich gut. Aber man braucht Geduld und sollte verschiedene Modelle ausprobieren, auch teurere, wenn man es sich leisten kann.
Inzwischen gibt es ja auch eine Fernanpassung für Hörgeräte. Nutzen Sie die?
Ich persönlich mag Remote-Anpassungen nicht. Das Anpassen von Hörgeräten ist für mich etwas sehr Persönliches, da braucht es Vertrauen. Ich schätze den direkten Austausch mit meinem Akustiker. Das ist wie beim Arzt. Man braucht jemanden, der wirklich zuhört, genau hinschaut und einen optimal berät.